Mit Dieter durch die City West

Dieter Bichler verbrachte den Herbst/Winter 2012 auf der Straße. Meistens übernachtete er irgendwo zwischen Bahnhof Zoo und Savigny-Platz – auf den Gittern über dem U-Bahntunnel der U2, durch die auch im Winter heiße Luft nach oben dringt, vor dem windgeschützten Eingang der Post am Kudamm oder auf einer der wenigen breiten Parkbänke im eleganteren Teil Charlottenburgs.
Die Geschichte, wie er auf der Straße landete und auf ihr überlebte, erzählt Dieter bei der Tour “City West”, die das Programm “querstadtein” des Berliner Vereins “Stadtsichten” anbietet. Ehemalige Obdachlose führen entweder durch Berlin-Mitte oder die City West und zeigen dabei ein Berlin, das jeder täglich erleben kann, vor dem die meisten aber doch die Augen verschließen, so gut es eben geht.

Ernst Reuter Platz

Die Perspektive wechseln

Dieter hatte sich gewissermaßen selbst auf seine Obdachlosigkeit vorbereitet. Er war mit eigenem Schlafsack und eigener Isomatte ausgestattet, als er auf der Straße landete. Trotzdem froren seine Füße in einer kalten Winternacht so sehr ein, dass Teile davon amputiert werden mussten.
Bei der Tour in der City West präsentiert sich das radikale Gefälle zwischen dem gutbürgerlichen Charlottenburg rund um den Savigny-Platz und der krassen Armut, die rund um den Bahnhof Zoo herrscht in aller Gewalt. Wenn Dieter vor dem Luxus-Einrichtungshaus “Stilwerk” steht und erzählt, wie es sich anfühlte, ein zehntausend Euro schweres Bett zu testen. Oder wenn er erzählt, wie er und seine Freunde vor einer staatlichen Einrichtung vertrieben wurden, weil deren Mitarbeiter – so der Wortlaut – “bei ihrem Frühstückskaffee nicht mit Armut konfrontiert” werden wollten. Wer die City West einmal aus einer ganz neuen Perspektive erleben will, ist auf dieser Tour richtig aufgehoben.

Die Tour macht auch Hoffnung

Dieter bekam nach wenigen Monaten der Obdachlosigkeit die Kurve. Es war wohl ein Teil Eigeninitiative, aber auch viel Glück und der Hilfsbereitschaft anderer geschuldet, dass er heute wieder in einer Wohnung leben kann. Im Vergleich zu anderen Obdachlosen war seine Erfahrung auf der Straße eine kurze. “Es war aber lange genug”, sagt Dieter, und man mag es ihm nach den vielen Geschichten der Ignoranz und Skrupellosigkeit der nichtobdachlosen Außenwelt, die er auf Lager hat, gern glauben. Diese Tour ist nichts für schwache Nerven, sie birgt aber auch jede Menge Hoffnung. Freilich erfährt man von bürokratischen Hürden, vom Elend, in das die Sucht nach Alkohol und Drogen so manchen Obdachlosen stürzt. Dieter weiß aber auch von hilfsbereiten Menschen zu berichten, die ohne Erwartung einer Gegenleistung Hilfe anboten, Zigaretten oder Essen spendeten. Berlin, das auf viele wie eine besonders kaputte Stadt wird, erscheint in den Erzählungen Dieters eben auch als Stadt, die ihre Bewohner auffängt – ob sie nun eine Wohnung haben oder nicht.

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Mehr Infos: Direkt beim Veranstalter “querstadtein”

Kostenpunkt: 13 Euro, ermäßigt 6,50 Euro

Essen und Trinken in der City West: Currywurst am Bahnhof Zoo.

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